Die Slow-Food-Bewegung möchte, dass jeder Mensch Essen hat. Und zwar gutes Essen. Ein BZ-Interview mit dem Gründer Carlo Petrini über McDonald’s, Salamibrot und den Papst.
Beim Gedanken daran läuft vielen das Wasser im Mund zusammen: Italien und Essen. Um das Thema Ernährung dreht sich auch die Weltausstellung in Mailand, an der die von Carlo Petrini gegründete Slow-Food-Bewegung teilnimmt. Eine der brennenden Fragen ist, wie angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung und einer sich verändernden Umwelt genügend Lebensmittel für alle bereit gestellt werden können. Carlo Petrini tritt für ein Umdenken ein. Nicht nur Essen, sondern gutes Essen sei ein Menschenrecht.
BZ: Die Expo steht unter dem Motto „Den Planeten ernähren. Energie für das Leben.“ Das hört sich gut an. Überzeugt die Expo auch bei näherem Hinsehen?
Carlo Petrini: Ich habe mir eindeutig mehr erwartet. Stattdessen haben wir es mit einer Art Kirmes zu tun. Die Inhalte fehlen völlig.
BZ: Was vermissen Sie genau?
Petrini: Auf der Expo ist zu wenig von Ernährung im engeren Sinn die Rede. Wir haben es doch mit einem System zu tun, das hinten und vorne nicht funktioniert, in dem Verschwendung herrscht und in dem die kleinen Produzenten an den Rand gedrängt werden. Wir müssen das ändern.
BZ: Was fehlt Ihnen auf der Expo?
Petrini: Die Kleinbauern und Kleinproduzenten. Die Pavillons gehören den Nationen. Diese reichen den großen Konzernen und Sponsoren die Hand. Also sind sie alle dabei: Coca Cola, McDonalds und Ferrero. Außerdem gibt es viele Restaurants, aber die Kleinen findet man nirgendwo.
BZ: Auch Slowfood nimmt an der Expo Teil. Warum?
Petrini: Das Motto „Den Planeten ernähren“ ist auch unser Thema. Das war schon überzeugend, sich dort zu engagieren. Wie kann man den Planeten schonen, nachhaltig wirtschaften, genügend Ressourcen erhalten und gute Nahrungsmittel für alle Menschen gewährleisten? Diesen Fragen stellen wir uns gerne.
BZ: Ist das Konzept einer Weltausstellung heute noch zeitgemäß?
Petrini: Ich bin mir da nicht sicher. Wenn es um Reflexion, um Begegnung und um den Austausch von Ideen geht, eigentlich schon. Aber wir haben es immer noch mit einer Weltausstellung alten Stils zu tun. Da kommen Millionen Menschen, um die Zukunft zu sehen. Aber die sieht man schon auf einem Tablet. Mailand hatte die Chance, die erste große Expo der Ideen zu machen. Aber diese Chance wurde verpasst.
BZ: Was bedeutet die Präsenz von McDonalds auf dieser Expo für Sie?
Petrini: Wenn alle mitmachen dürfen, hat keine Auswahl stattgefunden. McDonalds gibt es überall, in New York, in Mailand und in Düsseldorf. Da muss ich doch nicht auf eine Expo gehen.
BZ: Die Eröffnung einer Filiale der amerikanischen Fastfood-Kette McDonald’s in Rom vor fast 30 Jahren war der Auslöser für die Gründung Ihrer Slow-Food-Bewegung …
Petrini: McDonald’s wollte 1986 an der Piazza di Spagna, gleich bei der Spanischen Treppe in Rom seine erste Filiale in Italien eröffnen. Da haben wir protestiert. Die Frage heute ist: Wie soll man die Anstrengungen von kleinen Produzenten erklären, die großen Wert auf Nachhaltigkeit und Qualität legen angesichts einer Kette, die massenhaft Fleischsemmeln für 1,20 Euro verkauft? Das ist mein Problem.
BZ: Was verstehen Sie genau unter nachhaltiger Ernährung?
Petrini: Nachhaltige Ernährung bedeutet, die Verschiedenheit hervorzuheben. Jede Küche hat ihre Eigenheiten, die es zu wahren gilt. Hamburger kann man in der ganzen Welt essen. Das ist die Negation der Verschiedenheit. Die Artenvielfalt hat nicht dieselben Finanzmittel wie die multinationalen Konzerne. Wir müssen die Verschiedenheit schützen und die Augen offen halten.
BZ: Und langsamer essen, slow statt fast?
Petrini: Unsere Gesellschaft tendiert dazu, immer schneller zu werden. Wir brauchen Orte der Langsamkeit. Je schneller man unterwegs ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man auch Fehler begeht. Wer langsam ist, der irrt weniger. Es geht nicht darum, aus Prinzip langsam zu sein, sondern um Reflexion und Nachdenken.
BZ: Wofür steht die Schnecke im Logo von Slow Food?
Petrini: Die Schnecke steht für kontrolliertes Wachstum. Sie baut ihr Haus spiralförmig, hält irgendwann inne und stärkt ihre Hülle, indem sie das Schneckenhaus in einem rückwärts gewandten Prozess verhärtet. Sie kennt also ihre Grenzen. In der Natur gibt es kein grenzenloses Wachstum. Wenn die Schnecke ihr Haus immer weiter bauen würde, wird sie irgendwann von dem Gewicht ihres eigenen Hauses erdrückt. Stattdessen kehrt sie um und steuert ihr Wachstum. Die große Herausforderung unserer Zeit ist, ob wir das Dogma vom permanenten Wachstum durchbrechen können.
BZ: Warum sollten wir deshalb unsere Ernährung umstellen?
Petrini: Wir müssen unseren Lebensstil ändern. Es ist unverantwortlich,120 Kilogramm Fleisch pro Kopf im Jahr zu verzehren wie die Amerikaner. Wenn wir uns alle so ernähren würden, wären drei Planeten wie die Erde für den Anbau von Futter nicht genug. In Italien liefert die Po-Ebene vor allem Futter für die Viehzucht, aber kaum noch Nahrung für die Menschen.
BZ: Wie kann man diese Umstellung erreichen?
Petrini: Wir müssen uns erst einmal unserer Situation bewusst werden. Heute produzieren wir auf der ganzen Welt Nahrung, die für zwölf Milliarden Menschen ausreichen würde. Wir sind aber bisher nur sieben Milliarden. Das bedeutet, dass wir 40 Prozent der Lebensmittel wegwerfen. Wenn wir also endlich aufhören von Steigerung und Wachstum zu reden, wäre bereits geholfen.
BZ: Warum aber sind immer noch Hunderttausende unterernährt?
Petrini: Die Verteilung funktioniert nicht. Die Bauern werden ungerecht behandelt. Der Teil der Welt, in dem die Menschen einen vollen Bauch haben, interessiert sich einen Dreck für diejenigen mit den leeren Mägen.
BZ: Sie behaupten, es geht in erster Linie darum, unser Bewusstsein zu schärfen?
Petrini: Es würde erst einmal genügen, einige unserer Verhaltensweisen zu verändern. Weniger Fleisch essen gehört dazu. Weniger Wegwerfen. Das bedeutet, dass man Lebensmittel komplett konsumiert oder von vorneherein weniger einkauft. Wir müssen nur mal in unsere Kühlschränke schauen! Im Übrigen hat das Kochen mit Resten eine große Tradition: Denken wir an die toskanische Ribollita, eine überbackene Gemüsesuppe mit Brot und Zwiebeln. Oder Knödel. Brot wirft man nicht weg! Man warf früher überhaupt nichts weg. Heute interessieren wir uns nicht mehr für den Wert eines Lebensmittels, sondern nur noch für seinen Preis. Dabei könnten wir die Welt verändern, wenn wir uns selbst verändern.
BZ: Zuletzt forderte auch Papst Franziskus eine ökologische Umkehr. Sie haben telefoniert? Petrini: Wir hatten vor zwei Jahren erstmals Kontakt. Obwohl ich nicht gläubig bin, schreiben wir uns Briefe. Nun hat mich ein katholischer Verlag gebeten, eine Einführung in die Umweltenzyklika des Papstes zu schreiben. Es ist das erste Mal, dass ein Nicht-Gläubiger einen Leseschlüssel zu einer päpstlichen Enzyklika liefert.
BZ: Was verbindet Sie mit dem Papst?
Petrini: Der Papst ist sich bewusst, dass wir an einem historischen Punkt angelangt sind. Wenn wir nicht alle zusammen reagieren, droht unsere Mutter Erde schweren Schaden zu nehmen. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Menschheit. Wir zerstören die Ressourcen. Das ist eine Ungerechtigkeit gegenüber unseren Kindern und Enkeln. Das ist nicht nur ein katholisches Thema, sondern eine Frage, die uns alle etwas angeht.
BZ: Immer mehr Menschen kaufen Bio-Produkte und haben damit ein gutes Gewissen. Zu
Recht?
Petrini: Es ist viel wichtiger, lokale oder regionale Produkte zu kaufen als Waren mit irgendeinem Bio-Siegel. Denn wenn ich zum Beispiel die Bio-Birnen aus Argentinien bei uns im Bioladen kaufe, richte ich angesichts des Transports ein ökologisches Desaster an. Wir müssen die frische, lokale Produktion fördern.
BZ: Was ist mit Kaffee oder Schokolade? Manche gute Sachen kommen nunmal von weit her. Petrini: Natürlich brauchen wir Kaffee oder Schokolade. Wer nur lokale Produkte kauft, übertreibt. Ein bisschen Flexibilität muss schon sein, ich bitte Sie!
BZ: Sie behaupten, die multinationalen Lebensmittelkonzerne seien Teil des Problems, weil sie vereinfacht gesagt Masse statt Klasse produzieren …
Petrini: … Es gibt längst eine Tendenz zurück zum Kauf lokaler Produkte. Die Menschen wollen nicht mehr im anonymen Discount, sondern auf dem Markt von nebenan einkaufen. Das ist eine Bewegung, die extrem wächst. In den USA gab es vor 20 Jahren gerade einmal 100 Farmermärkte, heute sind es 12 000. Vor ein paar Monaten haben sich die Firmen Kraft und Heinz zum fünftgrößten Lebensmittelkonzern der Welt zusammen geschlossen. Es heißt immer, solche Fusionen seien ein Zeichen der Stärke. In Wahrheit sind sie Zeichen der Schwäche. Die Konzerne müssen noch größer werden, um zu überleben.
BZ: Nicht alle können sich qualitativ hochwertige und deshalb teurere Lebensmittel leisten. Ihre Kritik wirkt teilweise abgehoben.
Petrini: Uns wird oft vorgeworfen, eine Art Öko-Elite zu sein und mit einem vollen Portemonnaie ausgestattet über die Welt zu urteilen. Aber darum geht es nicht. Alle Menschen haben das Recht, genügend und auch gut zu essen. Die Lösung ist: ein bisschen mehr zu zahlen, weniger wegzuwerfen und weniger zu essen. Wir sind doch fast alle zu dick!
BZ: Was war das letzte, außergewöhnlich gute Gericht, an das Sie sich erinnern?
Petrini: Es gibt fast nichts, das mir nicht schmeckt. Oft ist das Beste einfach ein Salamibrot. Ich mag am liebsten simple Gerichte, das sind ja meist die schwierigsten.
Autor: Julius Müller-Meiningen