Stuttgart – An diesem Freitag wird die sogenannte Arche der Slow-Food-Stiftung vermutlich um drei neue Passagiere reicher: Dann läuft die Frist ab, innerhalb der jemand Einwände vorbringen kann.
Bisher sitzen 51 regionale Rassen und Produkte im Boot, die fast vergessen sind und nun neue Aufmerksamkeit erhalten sollen. Ein Drittel davon – 17 insgesamt – ist in Baden-Württemberg beheimatet. Jetzt kommt eine Bohnensorte aus dem Ruhrgebiet dazu, eine Salatsorte aus Nordhessen – und wieder auch ein Passagier aus Baden-Württemberg: das Sundheimer Huhn. Das Land bleibt also mit großem Abstand an der Spitze dieser Liste.
Wie kommt das? Mariusz Rybak, Projektkoordinator Biodiversität bei Slow Food, hat dafür zwei Begründungen: Zum einen seien wohl die Convivien (Regionalgruppen) im Süden sehr engagiert. „So ein Antrag ist viel Arbeit, den Convivien im Süden liegen die alten Rassen und Sorten aber offenbar besonders am Herzen.“ Zudem gebe es im Süden – also Baden-Württemberg und Bayern – traditionell noch mehr Kleinbauern: „Die historischen Sorten sind besser erhalten.“ Zum Vergleich, so Rybak, gebe es im Nordwesten – also den neuen Bundesländern – bisher insgesamt gerade einmal fünf Arche-Passagiere. Und auch Niedersachsen mit kaum noch kleinbäuerlichen Strukturen sei wenig vertreten.
Slow Food will mit der Arche-Bewegung, die im Jahr 2000 gegründet wurde, alte Sorten vor dem Vergessen bewahren. Sie wurden von den Erzeugern aufgegeben, weil sie wenig Ertrag bringen oder schwer zu kultivieren sind. Dabei sind sie im Geschmack oft unübertrefflich und sorgen für Vielfalt im Einheitsbrei der globalisierten Weltküche.
Diese Merkmale treffen auch auf den Neuling aus Baden-Württemberg zu – das Sundheimer Huhn, das diese Woche den Sprung in die Arche schaffen soll. Das Sundheimer (aus dem Kreis Kehl) gilt als einzige echt badische Hühnerrasse. Ursprünglich wurde es als einfach zu mästendes Fleischhuhn gezüchtet, das sich aber auch als Legehuhn auszeichnet. Die Hennen legen pro Jahr rund 200 braune oder gepunktete Eier und legen auch im Winter gut. Doch obwohl das Huhn ein guter Fleisch- und Eierlieferant ist, kann es mit den hochgezüchteten Turbo-Lege- oder -Masthühnern nicht mithalten. Kaum jemand kultiviert es noch. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen gruppiert es auf der Roten Liste deshalb in Kategorie II (stark gefährdet) ein.
Die Hühnerrasse ist dann der vierte neue Passagier aus Baden-Württemberg in diesem Jahr in der Arche. Ebenfalls neu hinzugestoßen sind Ende Juli der Stuttgarter Leberkäs sowie im Januar die Ermstäler Knorpelkirsche und die Schwarze Birne aus dem Vorland der Schwäbischen Alb. Die Knorpelkirsche ist eine lokale Süßkirschensorte der Region Neckar-Alb. Dort war sie früher auch als Herzkirsche bekannt. Obstbäuerinnen aus Dettingen an der Erms (Kreis Reutlingen) trugen sie in Weidekörben auf dem Kopf auf den Markt nach Urach. Die Schwarze Birne ist bei Frickenhausen (Kreis Esslingen) beheimatet und eine vorzügliche Mostbirne. Der Stuttgarter Leberkäs ist eine gebackene Brühwurst in Kastenform aus rohem Rind- und Schweinefleisch, Speck und mindestens fünf Prozent Leber.
Die Passagiere der Arche genießen aber nicht wirklichen Schutz. Vielmehr geht es Slow Food darum, sie wieder ins Gedächtnis zu bringen und Feinschmecker dafür zu interessieren, damit sie wieder Einzug in die Landwirtschaft halten. Einen Schritt weiter geht Slow Food mit seinen sogenannten Presidi. Ein Presidio (italienisch für Schutzraum) versteht sich als Netzwerk von engagierten Landwirten, handwerklich arbeitenden Lebensmittelproduzenten, Händlern, Köchen, wissenschaftlichen Experten und Verbrauchern, die gemeinsam bestimmte Pflanzensorten, Tierrassen, Lebensmittel und Kulturlandschaften erhalten wollen.
Gerade einmal fünf Spezialitäten aus Deutschland haben es in diese Gruppe geschafft – vier von ihnen sind aus Baden-Württemberg. Das sind die Alblinse, Schaumwein aus der Champagner Bratbirne vom Albtrauf, Fränkischer Grünkern und der Weideochse vom Limpurger Rind. Fünfte im Bunde ist die Kartoffelsorte Bamberger Hörnla aus Bayern. In Italien und in der Schweiz sind die Presidi mit einem Logo – einer stilisierten Schnecke – kenntlich gemacht. In Deutschland gibt es noch kein gemeinsames Erkennungsmerkmal.