Weltweit wächst der Fleischkonsum und die Probleme, die damit zusammenhängen: Drastischer Flächenverbrauch für Futtermittel, der Einsatz von Agrargiften, genetische Verarmung – um nur einige zu nennen. In Deutschland findet gleichzeitig eine Verschwendung beim Fleischverzehr in großem Ausmaß statt – nur ein bis zwei Drittel der geschlachteten Tiere werden von Menschen gegessen. In der Veranstaltungsreihe „Slow Food Kuttelgepräche“ diskutierte Slow Food Deutschland gestern in München mit einer Experten-Gesprächsrunde am Herd zu dem Thema zukunftstaugliche Ernährungsstile und die Rolle des Fleischkonsums.
Teilnehmer der Koch- und Diskussionsrunde in der Kustermann-Kochschule am Viktualienmarkt waren Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, und Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und Mitglied im Vorstand von Slow Food Deutschland, sowie die Gäste Simon Tress, Küchenchef im ROSE Biohotel-Restaurant, Georg Schweisfurth, Bio-Unternehmer und Autor, Jürgen Körber, Metzgermeister der Herrmannsdorfer Landwerkstätten und Günther Czerkus, Vorsitzender des Bundesverbands Berufsschäfer. Dr. Wilfried Bommert, Vorstandssprecher des Instituts für Welternährung und Autor, moderierte die Veranstaltung.
Als Beispiel für die Vergeudung von rund der Hälfte des produzierten Fleisches in Deutschland standen bei der Veranstaltung Innereien im Mittelpunkt. Basierten Kochrezepte vor wenigen Jahrzehnten noch auf der vollständigen Verwertung der geschlachteten Tiere, also auch der Innereien, sind diese heute fast völlig aus dem Angebot der Metzger, Supermärkte und Restaurants verschwunden. Als so genannte unedle Teile werden sie beispielsweise an Haustiere verfüttert, in der Düngemittelindustrie verwendet oder als Biokraftstoff verarbeitet. Nachgefragt werden in erster Linie Filets, Koteletts und Schnitzel.
Ein zentraler Gedanke der Slow-Food-Philosophie heißt: Essen hat einen Wert. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, kritisiert diese Fleischverschwendung in unserem Lebensmittelsystem deshalb vehement und fordert: „Das ganze Tier zu essen muss wieder kulinarische Normalität werden! Nur Edelteile zu essen ist weder ökologisch noch moralisch vertretbar.“ Als konkrete Maßnahmen in der Wertschöpfungskette schlägt Hudson deshalb vor, verloren gegangenes Wissen wieder zu fördern, nämlich die handwerklichen Kenntnisse der Metzger, Innereien küchenfertig zu machen und die Kochkenntnisse der Konsumenten, diese Spezialitäten schmackhaft zuzubereiten. Umgesetzt wurden diese Forderungen bereits während des „Slow Food Kuttelgesprächs“, einem Format, bei dem während des Gesprächs gemeinsam gekocht wird. Unter der Leitung von Bio-Spitzenkoch Simon Tress, Küchenchef im ROSE Biohotel-Restaurant, bereiteten die Teilnehmer zwei Gerichte zu: Lammkutteln mit getrockneten Tomaten und Pinienkernen und „Vitello Tonnato“ von der Schweinezunge.
Anlass der Veranstaltung war der internationale Terra Madre Tag der Slow-Food Bewegung, der jedes Jahr am 10. Dezember mit hunderten Veranstaltungen in über 150 Ländern gefeiert wird. An dem weltweiten Aktionstag stehen regionale Esstraditionen, eine reiche Vielfalt auf unseren Tellern und das Engagement für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem im Mittelpunkt.
Über den Terra Madre Tag
Das 2004 von Slow Food gegründete Terra Madre Netzwerk bringt die aktiven Teilnehmer unserer Lebensmittelproduktionskette zusammen, um nachhaltige Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelherstellung zu fördern. Das Netzwerk umfasst Kleinproduzenten, Fischer, Züchter, Lebensmittelhandwerker, Wissenschaftler, Köche, Konsumenten und Jugendgruppen aus über 150 Ländern. Jedes Jahr am 10. Dezember begeht das Netzwerk den Terra Madre Tag, einen globalen Aktionstag, um die Philosophie von Terra Madre bekannt zu machen und die lokale Lebensmittelwirtschaft zu stärken. In diesem Jahr feiert Slow Food das zehnjährige Bestehen des Terra Madre Netzwerks, der Terra Madre Tag findet zum sechsten Mal statt.
Mehr Informationen: www.slowfood.com/terramadreday
Über die neue Veranstaltungsreihe „Slow Food Kuttelgespräche“
Das „Slow Food Kuttelgespräch“, eine Gesprächsrunde am Herd zu guten, fairen und sauberen Lebensmitteln, soll als Slow-Food-spezifisches Format bei verschiedenen Veranstaltungen fortgesetzt werden. Die „Kutteln“ als Teil der Wortneuschöpfung „Kuttelgespräche“ sind bewusst gewählt. Kutteln lösen im kulinarischen Kontext starke, oft widersprüchliche Reaktionen aus: Sie werden als Lebensmittel von manchen abgelehnt, von anderen als Spezialität geliebt oder sogar mit heimatlichen Ernährungstraditionen identifiziert. Symbolhaft stehen sie in dieser Veranstaltungsreihe für unangepasste, provokative und neue Sichtweisen von Slow Food auf das aktuelle Lebensmittelsystem, über die man sich in Gesprächen austauscht. Die charakteristische Slow-Food-Prägung erhält das Format zudem durch das gemeinsame Kochen und den Genuss der zubereiteten Gerichte.